Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Ein Bundesrat
in Budapest

Die EU-­Kom­mis­sion hat im Juli 2021 gegen Ungarn ein Verfahren wegen Verletzung der europäischen Rechts­staats-­Prin­zipien eingeleitet.

Kurz darauf, am 27. August 2021, reist FDP-BR Cassis zum Team Orban nach Budapest.

Die Regierung Ungarns ist nach den Europäischen Verträgen zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet.

Unter Victor Orban und seiner Fidesz-Partei präsentiert sich das Land als Autokratie. Orban und seine Getreuen halten wenig von Gewaltenteilung.

Ihre politischen Aktivitäten untergraben die Unabhängigkeit der Justiz, die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit. Nationalismus steht hoch im Kurs.

Vetternwirtschaft und Bereicherung der Mitläufer blühen. Medien, unabhängigen Journalisten, kritischen NGOs und der parlamentarischen und der ausserparlamentarischen Opposition wird das Leben schwer gemacht.

Das Europaparlament will Verstöße der ungarischen Führung gegen die Rechtsstaatlichkeit durch Kürzung von Mitteln aus dem Gemeinschaftshaushalt ahnden. Soeben hat das Parlament mit deutlicher Mehrheit ein entsprechendes Verfahren eingeleitet.

Unter diesen Vorzeichen sucht FDP-BR Cassis beim nationalistischen Autokraten in Budapest Rat, Hilfe und Freunde. Er will seine Position in dem von der rechtsnationalen SVP/FDP-Koalition im Frühjahr 2021 angezettelten Konflikt mit der EU stärken. Nach dem Motto: der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Victor Orban pflegt enge Beziehungen zum totalitären Regime in Beijing. Die beiden SVP-Bundesräte möchten die Schweiz – ausserhalb der EU - zur europäischen Drehscheibe der Belt-and-Road-Initiative des Machthabers in Beijing machen.

Sucht FDP-BR Cassis in Budapest im Auftrag seiner SVP-Kollegen Fürsprache und Synergien für die Treffen mit den Abgesandten Chinas in der Schweiz?

An einer Konferenz ungarischer Botschafter erklärt er seine aussenpolitische Strategie.

Warum gerade in Ungarn? Warum nicht in Bern vor seinen eigenen Leuten? Dort hat sich der Nebel nach dem Abbruch der Verhandlungen mit der EU keineswegs gelichtet.Das diplomatische Personal irrt umher. Der Aufklärungsbedarf ist manifest.

FDP-BR Cassis sagt den Ungarn, seine „dreistufige Strategiekaskade“ sorge für mehr Kohärenz in der Schweizer Aussenpolitik und schärfe das globale Profil der Schweiz. Beides wird in Bern nicht verstanden, ist nicht vermittelbar, daher wohl die Flucht nach Budapest.

Orban selbst hat kein Zeitfenster für den hohen Besuch. Mit Justizministerin Judit Varga spricht FDP- BR Cassis über Europa, über die Europäische Union.

Die Ministerin bedrängt im Dienste Orbans Justiz und Regimekritiker und beschädigt die Rechtsstaatlichkeit in Europa. Inwiefern hilft das Gespräch der Schweiz in der Europapolitik?

FDP-BR Cassis betont, die Schweiz sei Teil der europäischen Wertegemeinschaft. Meint er die Werte des nationalistischen Orban’schen Regierungsprogramms?

Dem Team des Autokraten verspricht er neues Geld aus der Schweiz für ungarische Projekte, ungeachtet der Verstösse der Fidesz-Equipe gegen die Rechtsstaatlichkeit in Europa.

Die aktuelle Aussenpolitik bleibt konsequent irrational, mit einem rechtsnationalen Touch.

29.08.2021

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